molpé 1

Februar 10, 2008

molpé 1

molpé

Zeitschrift für ambulante Metallurgie

Die erste Ausgabe der 2005 in Leipzig und Paris geplanten Zeitschrift erscheint mit deutschen, französischen, aus dem Französischen ins Deutsche übertragenen Texten und 15 Bildern. Die 137 Seiten der Publikation sind gänzlich frei von Anzeigen. Sie verdanken sich dem unentgeltlichen Engagement vieler Enthusiasten und einer versprochenen finanziellen Förderung.

Inhalt

Metallurg 1

Как делать?

Schlaf der Körper, aufgezwungen durch Ausgangssperren … Wir beginnen erneut. Wir beginnen erneut. Erneut beginnen ist niemals, etwas erneut beginnen. Erneut beginnen heißt: diesen Abstand bewohnen. In niemandes Namen … An ihren Grenzen fransen die Körper aus. Politik der beliebigen Singularität. Eine Frage. Technik. Als Gegenwärtigkeit. Ziel. Bürger … Politik des lokalen Aufstands gegen die globale Verwaltung. Das Empire hat nicht statt. Das Empire hat Angst … Die Verschwörung der Körper. Die Körper fügen sich zusammen … Das Empire hat alles verarbeitet. Was man dem Empire entgegensetzen muss, ist der Humanstreik. (Beitrag lesen)

    Novelle über eine verrückte Kriegsmaschine. Die Kleist Maschine

    Es ist geschehen, an einem lauen Frühlingsnachmittag im Jahre 1808, dass auf einem Hügel bei Weimar sich zwei Dichter trafen, gerade in der Zeit des großen Aufbegehrens der spanischen Guerilla gegen die französische Besatzung, und so standen sie, der eine an den anderen gelehnt, um sich zu schießen. … Kleist, Rücken an Rücken mit Goethe, flüstert diesem zu: »Ich bin in der Überzahl! Ich bin die Milliarden! Ich werde dir den Kranz von der Stirne reißen!« Daraufhin wütet Goethe gegen Kleist: »Du Naturverfallener! Die verfluchte Unnatur!« Und sich beruhigend fährt er fort: »Du erregst mir Schauder und Abscheu. Du bist wie eine unheilbare Krankheit, die meinen von der Natur aus schön intentionierten Körper ergreift.« … Was kann nur geschehen sein, dass es soweit kommen konnte? (Beitrag lesen)

      Schaf

        Der Hummersignifikant und die zwei Schwindel. Materialen zu einer angewandten Theorie künstlich forcierter Verwirrung

        Elemente tauchen an anderen Orten auf, Orte ziehen neue Elemente auf sich, die Abwesenheit des stabilisierenden und heimlichen Gottes, der überlieferungsgemäß als Hummer beschrieben wird, lässt den Fluchtpunkt seines Herrschaftssitzes, den er in die weiße Leere hineinstach, zerfallen in je eigene Fluchten jeder einzelnen Konnexion… Nicht wird einem beim üblichen Gleitverkehr in der Signifikantenkette Schwindel, denn der Horizont bleibt stabil. (Der wegen der stabilisierenden Präzession der Achse vom Stern zum Fleck wird. Präzession: Bewegung aller Modelle, die über winzigen Tatsachen kreisen.) … Wir nennen diesen Schwindel den synthetischen Schwindel… Doch nun ist Schwindel in der Hingabe an einen proliferierenden Taumel der Konnexionsregeln, auf einem Körper, über den der alte Horizont nurmehr als unauffindliche Narbe eines Breitengrades läuft, tausendporig die Buchstabensuppe ausschwitzend, die das Gesetz war. Diesen nennen wir den präsynthetischen Schwindel. (Beitrag lesen)

        Hinter dem Haus…

        Hinter dem Haus

        … Ein kleines Mädchen im verdorrten Gras. Jetzt spricht sie leise in ihre hohle Hand.

          Verflossenes Zinnoberrot

          Manche sagen, seine Wohnung sei ein „grünes Paradies“, doch so wie sie das denken, ist es nicht wahr. In seinen Räumen beanspruchen die Pflanzen bestimmte Orte, und er gibt sie uns. Er selbst, er lebt nicht unter uns, auch zwischen uns lebt er im eigentlichen Sinne nicht. Wir brauchen das Helle, und nur wenige von uns halten sich an den Stellen, die dunkel bleiben. Wir benötigen den Platz am Fenster, dort, wo wir das Licht trinken können. Dahinter erst wohnt er, im dunkleren Teil der Wohnung. Wir hingegen, wir strecken unsere Häupter immer zum Licht. Er sieht nur die Maserung unserer Blätter, die dicken Adern, durch die sich das grüne Blut pumpt. (Beitrag lesen)

            Ni…Ni…

            Il y a comme une insaisissable lenteur dans les gestes de ce personnage dont le nom restera indécis, imprécis. Innommable liberté que de ne pas être né sous l’offense de cette restriction quasi-évidente d’un internement de naissance. Mais le langage s’interdit à cette créature, il doit s’éteindre pour ne pas être ouvert, un langage dont chaque mot serait enceinte de toutes les possibles possibilités de signification du mot dans le mot ne dit plus rien. Un langage ouvert est sans parole. (Beitrag lesen)

            GYBE

              molpé. Zeitschrift für ambulante Metallurgie

              Odysseus wird nach Hause kehren und sanftmütig lächelnd über Penelopes steingraues Haar streichen; aber die Sirenen beginnen ein außergewöhnliches Leben, umherschweifend, einen kosmologischen Gesang entfaltend, der Gesang der Erde selbst ist. Im Welt-Werden dieses Gesangs taucht gleichsam die Macht des Ereignisses auf: der Einbruch ins Denken des Metallurgen. Molpé entfaltet sich selbst erst auf den Linien der umherziehenden Metallurgen. Molpé schweift umher auf dem Rücken der Metallurgen, singt das Lied der Intensitätsproduktion und entsteht damit erst als das, was die Metallurgen wiederum trägt in ihren Dynamiken und Erfindungen. Molpé ist Ethik – Waffe – Musik: ethisches Denken metallischer Synthesen. (Beitrag lesen)

              Seite 59-61

                Äon Äon 2

                Äon. Die schöne, wohlgeformte Innerlichkeit gerät außer sich. Dem Gesetz – Odradek – entflieht seine eigene Gesetzlichkeit in jenem Augenblick, als das Fleisch des Körpers die auf seiner Oberfläche vorgenommenen Faltungen langsam glättet. Es entsteht ein geschwungener Block, dessen Linien Ereignisse, Affekte sind. »Ich redet nein. Und auf der linken Fußspitze, dreht sich. In den Raum hinein, der stets noch dahinter liegt. Aus dem Halbdunkel des fahlen Gesichts, bewegt den rechten Arm in leichtem Bogen, auf etwas zu. Er rückt näher, eingesunken, in gebücktem Gang, spricht nicht, kommt heran. Schmales Schleifen des nachziehenden Beins, schräg das Innen über aufgeweichtem Grund. Und Ich redet nein, in ihm, der stets noch später ruft.« (Beitrag ansehen)

                Die Namen

                Wir lagen krank auf den kranken Ufern eines kranken Flusses und sahen die Wasser fast in unsere Augenhöhlen fließen und sannen: sannen unablässig über dieses Fließen welches wir so ungeheuer erkannten, daß, hätten wir nur einen Namen – und wäre der auch nur in der nötigen Bedeutung gewesen – wir hätten über unsere Tränen verfügen können . . .
                Hier jedoch blieb unsere Sprache leer (mehr auf S. 62-63)

                (Gert Neumann, Die Schuld der Worte, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1979)

                Rettungen: Vermutungen über Jean-Jacques. Kurzer Versuch einer Annäherung

                Ein Geheimnis gilt es zu entdecken, eine Intrige offen zu legen… Nicht nur sein Ruf soll zerstört werden, seine Werke widerlegt, nein, es handelt sich hierbei um eine Verschwörung, die nicht für einen Einzelnen erfass- und durchschaubar ist und die daraufhin abzuzielen scheint, den Ruf, den Nachruf, das Werk, die Stimme zu entstellen, zu verzerren, Unschuldiges mit Schuld zu beladen… Gegen diese Vorwürfe versucht Rousseau sich in einem Akt der Offenbarung, des Bekennens zu erwehren… Schließlich verbleiben Rousseau nur noch Träumereien; Schilderungen vereinzelter, erlebter Situationen; Reflexionen verschiedener Art… ein formloses Tagebuch. Obwohl damit in Rousseau gelesen werden kann, ändert sich nichts, und die Verschwörung bleibt dunkel, unergründbar, vom Schicksal gewollt, in der Verengung des Blicks gigantisch. (mehr auf S. 64-66)

                  Weltenmonster Zettel

                    Weltenmonster

                    La république entière. Reinecke Fuchs und die öffentliche Sache

                    Zu den Geschichten, die man trotz ihres Alters zu erzählen nicht so recht aufhören mag, gehören auch die vom Reineke Fuchs, dem Ränkeschmied und Klügsten aller Tiere, der so listenreich wie tückisch seine Gefährten verprellt, ohne daß er nur jemals belangt oder zur Sühnung seiner Taten bewegt werden könnte. … 1793, im Revolutionsjahr und unter dem Eindruck der immer zweifelhafteren Geschehnisse in der ersten französischen Republik hat sich auch Goethe des Reineke-Stoffes besonnen – als Vorbehalt gewissermaßen, denn anstelle der sensationellen politischen Händel, die in diesen Tagen alle Welt beschäftigten, wandte er sich dem staubigen Tierepos zu. Was bewog ihn, eine Geschichte von Tieren den Taten der Menschen vorzuziehen? (mehr auf S. 70-80)

                    Schwan1

                    Marley

                    Until the philosophy which hold one race superior
                    And another
                    Inferior
                    Is finally
                    And permanently
                    Discredited
                    And abandoned –
                    Everywhere is war –
                    Me say war.
                    Bob Marley, in Anlehnung an Seine Majestät

                    Salutations à Dandelion

                    Erinnerungen eines Brauereikesselschmieds … Erinnerungen eines Löwenzahns … Erinnerungen eines Löwen … Erinnerungen einer Grinsekatze … Erinnerungen eines Gänseblümchens … Step up, leave Babylon! Ach ja, wir bitten um Verzeihung für einen solchen Text, er müsste musikalisch sein, man müsste ihn als Musik schreiben, so wie ein Musiker. … Dieser Text besteht zu großen Teilen aus Samples der Tausend Plateaus. Merci beaucoup, Messieurs… (mehr auf S. 85-93)

                    Seite 94-95

                    Personne ne sait ce qui se passe aujourd’hui parce que personne ne veut qu’il se passe quelque chose. En réalité, on ne sait jamais ce qui se passe, on sait simplement ce que l’on veut qu’il se passe, et c’est comme cela que les choses arrivent. En 17, Lénine et ses camerades ne disaient pas : « Nous allons faire la révolution parce que nous voulons la révolution. » Ils disaient : « Toutes les conditions de la révolution sont réunies : la révolution est inéluctable.

                    Ach hätt ich doch ein Tintenfass! Oder: In der Strafkolonie

                    Luther hatte es noch gut… Stets fest im Glauben, der seine Burg war, hatte er einen Feind vor Augen. Den Papst, den Teufel; beide. Er besaß die Macht der Feder, und viel wichtiger noch: sein Tintenfass. Dies warf er nach dem Bocksbeinigen so oft sich dieser ihm zeigte und ward befreit. Nach wem aber kann man heute noch werfen? In welche Richtung kann ein Befreiungsschlag zielen?… Gedanklich unzuhause werden wir vom Unheimlichen gestellt… Wer braucht da noch »Regeln für den Menschenpark“? (mehr auf S. 96-106)

                    Schwan2

                    Eh bien, la guerre!

                    Wir müssen so handeln, als wären wir niemandes Kinder. Den Menschen ist ihre wahre Abstammung nicht gegeben. Sie ist die Geschichtskonstellation, deren sich wieder zu bemächtigen ihnen gelingt. Es ist gut, eine Ahnenhalle zu haben. Nicht jede Ahnenhalle befindet sich am Ende einer »rue Soufflot«.
                    Die Gemeinplätze sind die schönste Sache der Welt. Notwendig ist es, sich zu wiederholen. Die Wahrheit hat stets, in tausend Weisen, dasselbe gesagt. Zu gegebenem Zeitpunkt besitzen die Gemeinplätze die Kraft, die Welten in Schwingung zu versetzen. Übrigens entstand das Universum aus einem Gemeinplatz. (mehr auf S. 110-115)

                    Seite 116-17

                    Sur l’eau…

                    Tot. Das Versprechen wurde eingelöst. Nichts tun, nichts mehr tun. War das Tier überwunden, oder vielmehr verstellt, so kehrt es nun wieder im Scheinwerferlicht: nackt und seltsam gekreuzigt. Auf der glatten Oberfläche, dem Eis, dessen Tiefe noch Leben erahnen lässt, liegt das Tier, ohne Atem, und ist jenseits aller weiteren Bestimmung und Erfüllung nicht mehr. Als ob es angefahren, zur Strecke gebracht wurde, ohne jemals zu wissen wovon. Oder schaut es gar friedlich in den Himmel, treibt dem offenen Horizont des bloßen Seins entgegen? (Beitrag ansehen)

                    L’entretien infini

                    Die Erschöpfung steigt unmerklich auf; unmerklich, kein Beweis, kein völlig sicheres Zeichen; jeden Augenblick scheint sie ihren höchsten Punkt erreicht zu haben – aber natürlich ist das ein Trugschluss, ein Versprechen, das nicht gehalten wird. Als ob die Erschöpfung ihn am Leben hielte… Die Erschöpfung ist seine einzige Möglichkeit zu leben geworden, mit dem Unterschied, dass er, je erschöpfter er ist, desto weniger lebt und dennoch einzig aus Erschöpfung lebt…
                    Es hat den Anschein, als werde er in jedem Augenblick vor seiner Erschöpfung vorstellig: So erschöpft bist du ja gar nicht, die wahre Erschöpfung erwartet dich erst noch; jetzt, ja, jetzt beginnst Du, erschöpft zu sein, jetzt beginnst du, Deine Erschöpfung zu vergessen; ist es möglich, dass man in diesem Ausmaß erschöpft sein kann, ohne ein Verbrechen zu begehen? Und niemals vernimmt er das befreiende Wort: Es ist gut, Du bist erschöpft, einfach nur erschöpft. (mehr auf S. 119-133)

                    (Auszug aus: Maurice Blanchot, L’entretien infini, Gallimard, Paris 1969)

                    Fett

                    molpé

                    Februar 10, 2008

                    Zeitschrift für ambulante Metallurgie

                    Molpé 1, S. 50-57

                    Als Odysseus die Sirenen passierte, war auf seinem Gesicht eine namenlose Seligkeit, eine stille Einkehrung zu sehen. Im unendlichen Vertrauen auf seine angewandten Mittel versicherte er sich seiner Unsterblichkeit, in deren begehrtem Glanz sein Innerstes nach außen drang. Gleichwohl oszillierte in dieser Spaltung die Kraft, in deren Ausdruck die Sirenen zum Schweigen gebracht wurden. Sie hörten auf zu verführen, gerade weil sie, wie Kafka uns schreibt, das Schweigen Odysseus’ am Mast in die Sprachlosigkeit zog. Einen letzten Abglanz desjenigen erhaschen, der nie mehr Odysseus gewesen sein wird. Jener Tod des Odysseus, der in der Erektion seiner selbst gipfelt, beschließt zugleich den Tod der Sirenen, die sich nach dieser seltsamen Passage ins Meer stürzen. Das scheint uns eine einzigartige Schwelle zu markieren, auf der das Denken seine Funktion ändert und dem namenlosen Schrecken eines Zugriffs erliegt. Indem die Sirenen ihren Felsen verlassen, um zu sterben – der Unbezwingbare installiert in seiner Passage einen Apparat der unendlichen Spaltung –, wird es ihnen erst möglich – zu leben. Denn nicht so sehr der Tod ist das Rätsel des Lebens, sondern vielmehr das Ereignis des Lebens selbst, die Geburt der Differenz. Der Gesang der Sirenen vollzieht sich dann nicht mehr im Namen eines anderen, sondern löst sich auf im Rauschen des Meeres. Nicht um endlich sie selbst zu sein, in ihrem eigenen Namen die Geschichte nochmals zu erzählen, sterben sie, sondern eher um etwas aufzulösen, sich aufzulösen, um einen völlig anderen Typus von Gesang zu erfinden, der in seiner unerfindlichen Grausamkeit jede Ebene, jedes Innen mit sich wegrisse. (Weiterlesen als PDF)

                    Ni… Ni…

                    Februar 10, 2008

                    Molpé 1, S. 45-47

                    Il y a comme une insaisissable lenteur dans les gestes de ce personnage dont le nom restera indécis, imprécis. Innommable liberté que de ne pas être né sous l’offense de cette restriction quasi-évidente d’un internement de naissance. Mais le langage s’interdit à cette créature, il doit s’éteindre pour ne pas être ouvert, un langage dont chaque mot serait enceinte de toutes les possibles possibilités de signification du mot dans le mot ne dit plus rien. Un langage ouvert est sans parole. (Weiterlesen als PDF)

                    Verflossenes Zinnoberrot

                    Februar 10, 2008

                    Molpé 1, S. 39-43

                    – null –

                    Es hat diese Zeit gegeben. Da war das Weiß der Wände nur weiß, und die Sterne strahlten das kalte Licht. Aus dem Wasserhahn stahl sich der eine Tropfen, immer wieder, und die Leere seines Klangs verfing sich zwischen den Wänden. Das Warten auf die Blüte und das Sterben der Pflanzen geschahen zugleich.

                    – eins –

                    Vom Rahmen meiner Fenster blättert die Farbe. Sie sind aus Holz, die Rahmen, und sehr alt. Der Anstrich löst sich von ihnen. Manchmal fahre ich mit dem Fingernagel unter eine der aufgequollenen Blasen. Ich tippe die harte, geborstene Farbschicht an, so dass sie abspringt. Zum Vorschein kommt ein graues, vom Wetter zernagtes Stück Holz, in das Wasser gedrungen ist – vom Regen und vom Schnee der vielen Jahre, in denen ich noch nicht hier gewohnt habe. Auch von den Pflanzen kommt die Feuchtigkeit, die das Holz zerkaut. Auf dem Fensterbrett stehen die Blumentöpfe, die, wenn ich sie zu großzügig gieße, überlaufen. Das passiert gelegentlich. (Weiterlesen als PDF)

                    Materialien zu einer angewandten Theorie künstlich forcierter Verwirrung

                    Molpé 1, S. 30-33

                    Substanzen und Wahrnehmungen, die das innere Funktionieren der Sprache in einen vagabundierenden und anwachsenden Schwindel entbinden, schwächen den Doppelgriff des entliehenen Rückgrates (aufrechter Gang: es zeigt zum Zenit und fasert gleichzeitig in die Synapsen aus), das durch das Begehren nach dem kleinen Gesetz anschwoll und sich aufrichtete.[1] So dass der Hummersignifikant nicht mehr ordentlich kontrolliert und die Konnexionsregeln organisiert, was das Gleiten im System der Signifikanten aus der Geometrie wirft; also nicht mal wildes Denken, eher das Denken der Wildnis, wenn die Sonne untergegangen ist und der große Schatten, den sie dem König der Löwen lieh, und der hinter jedem Grashalm zu ahnen war, sich auflöst.

                    Doch oft setzt hier das Andrängen einer Angst an, die scheinbar dem Kontrollverlust geschuldet ist, den das mentale Ausscheren aus den Mustern der symbolischen Ordnung bringt. Ein Verlust, der zunächst Wirkung einer vorgängigen Öffnung ist: Durch die Auflösung des Zangengriffs des Hummersignifikanten verliert sich die Zusammennaht von Ort und Element der Einschreibung, und sollte noch geredet werden, verliert sich für den Aussagenden allmählich jegliches Gefühl der Bindungskraft an das Subjekt der Aussage. Elemente tauchen an anderen Orten auf, Orte ziehen neue Elemente auf sich, die Abwesenheit des stabilisierenden und heimlichen Gottes, der überlieferungsgemäß als Hummer beschrieben wird, lässt den Fluchtpunkt seines Herrschaftssitzes, den er in die weiße Leere hineinstach, zerfallen in je eigene Fluchten jeder einzelnen Konnexion. (Weiterlesen als PDF)


                    [1]Ein anderer verortet diese Rektifizierungskraft auch in den »Schwanzverzweigungen der Sprache«, aber verfolgt das Rückgrat weiter hinab, dorthin, wo die Seele, »die heraustreten wollte wie eine Bombe oder eine gewaltige Kanone […] zum Wesen rektifiziert wurde im Rektum der Willkür: Geist.« Antonin Artaud: Briefe aus Rodez. München 1979. S. 83

                    Molpé 1, S. 18-27

                    Es ist geschehen, an einem lauen Frühlingsnachmittag im Jahre 1808, dass auf einem Hügel bei Weimar sich zwei Dichter trafen, gerade in der Zeit des großen Aufbegehrens der spanischen Guerilla gegen die französische Besatzung, und so standen sie, der eine an den anderen gelehnt, um sich zu schießen.Doch was ist passiert? Was kann nur geschehen sein? Und selbst wenn nichts geschehen ist, was ist dieses Nichts, durch das etwas passiert ist? Jede Novelle hat eine fundamentale Beziehung zum Geheimnis, kein geheimes Objekt, das zu entdecken wäre, sondern eine Beziehung zur Form des Geheimnisses, die undurchdringlich bleibt. Und außerdem inszeniert die Novelle Stellungen von Körper und Geist, die wie Falten oder Hüllen sind. Stellungen, die an der Kreuzung von gewissen Linien entstehen. Dabei handelt es sich nicht nur um die Linien der Schrift, denn diese verbinden sich mit anderen Linien, Lebenslinien, Glücks- und Unglückslinien, Linien, die eine Variation der Schriftlinie bilden, Linien, die zwischen den geschriebenen Linien stehen.

                    Kleist, Rücken an Rücken mit Goethe, flüstert diesem zu: »Ich bin in der Überzahl! Ich bin die Milliarden! Ich werde dir den Kranz von der Stirne reißen!« Daraufhin wütet Goethe gegen Kleist: »Du Naturverfallener! Die verfluchte Unnatur!« Und sich beruhigend fährt er fort: »Du erregst mir Schauder und Abscheu. Du bist wie eine unheilbare Krankheit, die meinen von der Natur aus schön intentionierten Körper ergreift.«

                    Was kann nur geschehen sein, dass es soweit kommen konnte? (Weiterlesen als PDF)

                    Как делать?

                    Februar 10, 2008

                    Molpé 1, S. 9-18
                    Dreißig Jahre. Dreißig Jahre Gegen-Revolution. Präventive Gegen-Revolution. In Italien. Und anderswo. Dreißig Jahre Schlaf zwischen Stacheldraht, bevölkert von Wachmännern. Schlaf der Körper, aufgezwungen durch Ausgangssperren. Dreißig Jahre. Die Vergangenheit vergeht nicht. Weil der Krieg fortbesteht. Sich verzweigt. Sich ausdehnt. In einer weltweiten Vernetzung lokaler Dispositive. In einer noch nicht da gewesenen Kalibrierung von Subjektivitäten. In einem neuen oberflächlichen Frieden. Ein gut gemachter bewaffneter Frieden, um den Verlauf eines unwahrnehmbaren Bürgerkriegs zu verdecken.
                    Vor dreißig Jahren waren es Punk, die 77er Bewegung, die Stadtindianer und die diffuse Guerilla. Mit einem Mal tauchte, wie aus irgendwelchen unterirdischen Regionen der Kultur hervorgegangen, eine ganze Gegen-Welt von Subjektivitäten auf, die nicht mehr konsumieren wollten, die nicht mehr produzieren wollten, die nicht einmal mehr Subjektivitäten sein wollten. Die Revolution war molekular, die Gegen-Revolution war es nicht minder. MAN arrangierte offensiv, dann dauerhaft einen gesamten Maschinenkomplex zur Neutralisierung dessen, was Träger von Intensitäten ist. Eine Maschine zur Entschärfung all dessen, was explodieren könnte. Alle gefährdenden Dividuen, widerspenstigen Körper, die autonomen Zusammenfügungen von Menschen. Dann kamen dreißig Jahre der Dummheit, Vulgarität, Isolation und Betrübnis. Wie machen? (Weiterlesen als PDF)

                    molpé, die erste

                    Januar 25, 2008

                    Die erste Nummer der Zeitschrift molpé erscheint in Kürze. Sie ist das Printprodukt einer literatisch-künstlerisch-philosophischen Kollaboration, in der die Urheberschaft der einzelnen Beiträge zugunsten des Gesamtwerks zurücktritt. Lediglich eine Nennung der unterschiedlich Beteiligten sei gestattet: Katja Barthel, Steven Black, Maurice Blanchot, Christoph Dittrich, Christian Driesen, Lucas Fester, Gesa Foken, Alexander Friedrich, GYBE, Tobias Grave, Uwe Grelak, Falk Haberkorn, Daniel Hechler, Florian Heßdörfer, Thalia Kedez, Sabrina Lesage, Gert Neumann, Tobias Prüwer, André Reichert, Cindy Schmiedichen, Michael Jahny.